Sind Arbeitnehmer längere Zeit arbeitsunfähig krank, muss der Arbeitgeber vor einer Kündigung ein betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) durchführen. Ziel ist es, die Arbeitsunfähigkeit des Beschäftigten möglichst schnell zu überwinden und den Arbeitsplatz des Betroffenen im Einzelfall zu erhalten.
Ob eine krankheitsbedingte Kündigung des Arbeitsvertrages auch ohne BEM wirksam sein kann, entschied das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg (LAG Berlin-Brandenburg, Urteil v. 22.02.2019, Az.: 17 Sa 1605/18).
Kündigung wegen Krankheit: wie ist die Rechtslage?
Grundsätzlich ist es möglich, dass ein Arbeitsverhältnis wegen einer Erkrankung des Arbeitnehmers kündigt wird. Dabei gelten jedoch enge Voraussetzungen. Bei einer länger andauernden Erkrankung ist für eine krankheitsbedingte Kündigung eine negative Gesundheitsprognose für die Zukunft erforderlich. Durch die Erkrankung muss eine erhebliche Beeinträchtigung betrieblicher oder wirtschaftlicher Interessen des Arbeitgebers drohen.
Zusätzlich ist eine Interessenabwägung zwischen den Interessen des Arbeitgebers an der Kündigung und den Interessen des Arbeitnehmers am Fortbestand des Arbeitsverhältnisses vorzunehmen: Die Kündigung muss das mildeste Mittel sein, um das Problem zu lösen (sog. ultima-ratio-Prinzip).
In der Regel stellt aber nicht die Kündigung, sondern ein BEM ein solches milderes Mittel dar. Das bedeutet: Wenn der Arbeitgeber vor der krankheitsbedingten Kündigung kein BEM durchführt, geht die Interessenabwägung im Rahmen der Prüfung der Rechtmäßigkeit einer krankheitsbedingten Kündigung meist zugunsten des Arbeitnehmers aus.
Arbeitnehmer mehr als drei Jahre krank
Ein Arbeitnehmer verlor bei einem Arbeitsunfall den Großteil seines linken Daumens. Wegen dieser Verletzung, aus psychischen Gründen und aufgrund eines Asthmaleidens war er mehr als drei Jahre arbeitsunfähig krank. Daraufhin kündigte der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis wegen Krankheit.
Der Arbeitnehmer erhob gegen diese Kündigung Kündigungsschutzklage vor dem Arbeitsgericht. Er behauptete, sein Arbeitgeber trage die Schuld an seinen psychischen Problemen. Er habe sich außerdem durch Aussagen seines Arbeitgebers schikaniert gefühlt. Daher vermied der Arbeitnehmer in der Zeit seiner Abwesenheit jeden Kontakt zu seinem Arbeitgeber. Sein Arbeitgeber versuchte hingegen wiederholt, mit ihm in Kontakt zu treten, um über seine weiteren Einsatzmöglichkeiten im Betrieb zu sprechen. Ein Verfahren zum BEM bot der Arbeitgeber jedoch nicht an. Aufgrund dieses Verhaltens ging der Arbeitgeber davon aus, dass der Arbeitnehmer sowieso nicht teilgenommen hätte.
LAG: nicht immer BEM vor krankheitsbedingter Kündigung
Das Arbeitsgericht Eberswalde wies die Kündigungsschutzklage des Arbeitnehmers ab. Dagegen legte der Arbeitnehmer Berufung ein. Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg wies die Berufung zurück, der Arbeitnehmer unterlag auch hier. Auch das LAG Berlin-Brandenburg bewertetet die Kündigung als wirksam.
Das Gericht führte aus, dass eine über drei Jahre andauernde krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit auf eine Fortdauer der Erkrankung in der Zukunft hindeutet. Auch sah das Gericht in der Leistungsunfähigkeit des Arbeitnehmers eine erhebliche Beeinträchtigung betrieblicher Interessen: Bei einer Abwägung der Arbeitsgeber- und Arbeitnehmerinteressen überwogen nach Auffassung der Richter die Belange des Arbeitgebers.
Das Argument, dass ein BEM vor der krankheitsbedingten Kündigung nicht durchgeführt wurde, reichte in diesem Fall ebenfalls nicht: Grundsätzlich stelle die Durchführung eines BEM ein milderes Mittel zu einer Kündigung dar, so die Richter. Das gelte jedoch nicht, wenn der Arbeitgeber darlegen kann, dass die Durchführung eines entsprechenden Verfahrens nutzlos geblieben wäre.
Davon durfte der Arbeitgeber in diesem Fall ausgehen, da der Arbeitnehmer den Kontakt zum Arbeitgeber während der gesamten Zeit der Erkrankung mied. Die Einladung zu dem Verfahren wäre Förmelei gewesen. In diesem Fall war deswegen eine krankheitsbedingte Kündigung ohne Durchführung eines BEM rechtmäßig.
Bedeutung für die Praxis
Eine langfristige Erkrankung des Arbeitnehmers kann zu einer krankheitsbedingten Kündigung führen. Dabei ist grundsätzlich ein BEM durchzuführen. Das gilt allerdings nicht, wenn der Arbeitgeber darlegen kann, dass das Verfahren nutzlos wäre – etwa weil der Arbeitnehmer nicht teilnehmen würde. Deshalb sollte ein Arbeitnehmer, der nicht krankheitsbedingt gekündigt werden will, sich während der Krankheitszeit grds. als bereit für die Teilnahme an einem BEM zeigen, um sich nicht selbst leichtfertig bestimmte arbeitsrechtliche Möglichkeiten zu nehmen.
Hat Ihnen Ihr Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis wegen einer Erkrankung gekündigt? Haben Sie generell Fragen zum BEM? Ich unterstütze Sie als Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht gerne! Sie erreichen mich per E-Mail an oder telefonisch unter 0821 / 207 137 55 .