Bei einer Betriebsneuausrichtung oder -schließung wird in einigen Fällen ein Sozialplan aufgestellt. Der Sozialplan ist in § 112 Abs. 1 Satz 2 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) geregelt. Im Sozialplan können Arbeitgeber und Betriebsrat Regelungen im Zusammenhang mit der Betriebsänderung treffen. Sie können beispielsweise regeln, dass ein Stellenabbau bestimmte Arbeitnehmergruppen nicht trifft oder in welcher Höhe die betroffenen Mitarbeiter eine Abfindung erhalten.
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat sich in einem Urteil (BAG, Urteil v. 28.07.2020, Az.: 1 AZR 590/18) mit der Frage befasst, wann ein Sozialplan eine mittelbare Benachteiligung wegen einer Schwerbehinderung darstellt.
Keine Benachteiligung im Sozialplan
In der Gestaltung eines Sozialplans sind die Betriebsparteien nicht vollkommen frei. Sozialpläne unterliegen der gerichtlichen Rechtmäßigkeitskontrolle. Insbesondere darf ein Sozialplan nicht einzelne Arbeitnehmer benachteiligen. Sozialpläne müssen höherrangigem Recht entsprechen, insbesondere dem betriebsverfassungsrechtlichen Gleichheitsgrundsatz nach § 75 Abs. 1 BetrVG. Dieser untersagt jegliche Benachteiligung von Personen aus Gründen ihrer ethnischen Herkunft, Abstammung, Nationalität, Religion oder Weltanschauung, ihrer Behinderung, ihres Alters, politischen oder gewerkschaftlichen Betätigung, wegen des Geschlechts oder der sexuellen Identität.
Außerdem ist das Benachteiligungsverbot des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes („Antidiskriminierungsgesetz“, AGG) zu beachten. Der Anwendungsbereich des AGG umfasst u.a. auch „Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen einschließlich Arbeitsentgelt und Entlassungsbedingungen, insbesondere in individual- und kollektivrechtlichen Vereinbarungen und Maßnahmen bei der Durchführung und Beendigung eines Beschäftigungsverhältnisses sowie beim beruflichen Aufstieg“.
Sozialplan stellt auf mögliches Renteneintrittsalter ab
In dem Fall vor dem Bundesarbeitsgericht ging es um einen 59-jährigen schwerbehinderten Menschen, der seinen Ex-Arbeitgeber verklagte. Sein Betrieb schloss vor einer Einigungsstelle einen Sozialplan. Ein Teil der Arbeitnehmer sollte eine Abfindung erhalten, laut Sozialplan in Höhe eines „fiktiven Differenzbetrages“.
Eine der Bezugsgrößen bei der Berechnung der Abfindung war dabei das Datum des regulären Renteneintritts. Zur Berechnungsformel des fiktiven Differenzbetrages gehörte, dass Behinderte – abhängig vom Grad ihrer Behinderung – einen pauschalen Abfindungsbetrag erhielten.
Der Arbeitgeber legte bei der Berechnung des Abfindungsbetrags einen frühestmöglichen Renteneintritt bei der Altersrente für schwerbehinderte Menschen zugrunde. Insgesamt sollte sich die Abfindung für den Arbeitnehmer auf knapp 40.000 Euro belaufen. Hätte ein frühestmöglicher Rentenbeginn ohne Schwerbehinderung zugrunde gelegen, hätte sich für den Mitarbeiter eine viel höhere Abfindung in Höhe von rund 100.000 Euro ergeben.
Daran nahm der schwerbehinderte Mitarbeiter Anstoß. Er verlangte den Differenzbetrag. Die Regelung im Sozialplan zum pauschalen Abfindungsbetrag für Schwerbehinderte bewirke eine nicht gerechtfertigte Benachteiligung wegen seiner Behinderung. Bei der Berechnung sei vielmehr das frühestmögliche Renteneintrittsalter für nicht schwerbehinderte Menschen zugrunde zu legen.
Entscheidung des Gerichts: Arbeitnehmer bekommt Recht
Erst vor dem BAG erhielt der schwerbehinderte Mitarbeiter allerdings Recht. Schon das Landesarbeitsgericht (LAG) habe zu Recht angenommen, dass die im Sozialplan vorgesehene Abfindung für schwerbehinderte Menschen gegen § 75 Abs. 1 BetrVG verstoße und Behinderte ungerechtfertigt benachteiligt. Der Mitarbeiter habe Anspruch auf den Differenzbetrag, eine sogenannte „Anpassung nach oben“.
Der Passus des Sozialplans, der auf den Renteneintritt Bezug nimmt, stelle eine „mittelbar auf dem Kriterium der Behinderung beruhende Ungleichbehandlung“ dar, urteilte das BAG. Grund: Schwerbehinderte Menschen könnten gemäß § 236a Abs. 1 Satz 2 SGB VI zu einem früheren Zeitpunkt Altersrente vorzeitig in Anspruch nehmen als nicht schwerbehinderte Arbeitnehmer. Dies führe dazu, dass schwerbehinderte Arbeitnehmer eine geringere Abfindung erhalten als nicht schwerbehinderte. Die Regelung im Sozialplan stelle undifferenziert auf den „frühestmöglichen“ Wechsel in die gesetzliche Rente ab, egal ob der betreffende Arbeitnehmer eine Behinderung hat oder nicht. Darin liege eine Benachteiligung.
Auch keine Rechtfertigung nach AGG
Die Ungleichbehandlung stehe in direktem Zusammenhang mit der Schwerbehinderung und sei nicht im Sinne von § 3 Abs. 2 AGG durch objektive Faktoren gerechtfertigt. Die Berechnungsweise diene zwar einem legitimen Ziel, entschied das BAG. Die Regelung im Sozialplan schieße jedoch über das zur Erreichung dieses Ziels Erforderliche hinaus. Schwerbehinderte Arbeitnehmer und nicht schwerbehinderte Arbeitnehmer seien in Bezug auf die wirtschaftlichen Nachteile durch die Betriebsschließung in einer vergleichbaren Situation, der Sozialplan behandle sie aber unterschiedlich. Das Arbeitsverhältnis beider Gruppen ende aus demselben Grund und unter denselben Voraussetzungen.
Deshalb müsse der Arbeitgeber eine Abfindung zahlen und bei der Berechnung den frühestmöglichen Renteneintritt zugrunde legen, der für den Arbeitnehmer gegolten hätte, wenn er nicht schwerbehindert wäre, so das Bundesarbeitsgericht.
Regelungen eines Sozialplans können angreifbar sein
Dieser Fall zeigt deutlich: auch Regelungen eines Sozialplans können unwirksam und damit angreifbar sein. Insofern ist es durchaus sinnvoll, einen Sozialplan anwaltlich prüfen zu lassen, um ggf. Rechtsfehler aufzudecken, die – wie in diesem Fall – bares Geld wert sein können.
Sie haben Fragen zu einem Sozialplan? Als Fachanwalt für Arbeitsrecht berate ich Sie gerne und setze Ihre Ansprüche vor Gericht durch. Sie erreichen mich in Augsburg telefonisch unter 0851 / 207 137 55 oder per E-Mail an kanzlei@schleifer-arbeitsrecht.de.