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Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz ist ein ernstzunehmendes Thema. Erfährt der Arbeitgeber davon, kann das schnell zu einer Kündigung führen, wie ein aktueller Fall vor dem Bundesarbeitsgericht (BAG) zeigt. Das BAG musste darüber entscheiden, ob eine sexuelle Belästigung vorliegt, wenn ein Arbeitnehmer einem Kollegen die Hose herunterzieht, und: ob das ein Grund ist, den Mitarbeiter fristlos zu kündigen (BAG, Urteil v. 20.5.2021, Az.: 2 AZR 596/20). Ist sexuelle Belästigung ein Kündigungsgrund? Ja. Der Arbeitgeber ist nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) verpflichtet, seine Arbeitnehmer*innen vor sexuellen Belästigungen zu schützen. Eine sexuelle Belästigung liegt nach § 3 Abs. 4 AGG vor, wenn ein unerwünschtes, sexuell bestimmtes Verhalten bezweckt oder bewirkt, dass die Würde der betreffenden Person verletzt ist. Gemeint sind hier sexuell bestimmte körperliche Berührungen, Bemerkungen sexuellen Inhalts, unerwünschte sexuelle Handlungen und Aufforderungen zu sexuellen Handlungen etc. Belästigt ein(e) Arbeitnehmer*in eine(n) andere(n) Arbeitnehmer*in sexuell, ist das gem. § 7 Abs. 3 AGG eine Vertragspflichtverletzung und daher „an sich“ als wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung nach § 626 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) geeignet. Ob eine Kündigung wegen sexueller Belästigung im Ergebnis wirksam ist, hängt allerdings von den genauen Umständen und der Verhältnismäßigkeitsprüfung ab. Der Fall: Arbeitnehmer entblößt Kollegen Im Fall vor den Arbeitsgerichten stritten ein Arbeitgeber und ein Arbeitnehmer über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung des Arbeitnehmers. Der Arbeitnehmer war in der Automobilproduktion im Fertigungsbereich beschäftigt. Während einer Nachtschicht näherte er sich einem Leiharbeitnehmer und zog diesem unvermittelt mit beiden Händen die Arbeits- und die Unterhose herunter, sodass dieser für mehrere Sekunden im Genitalbereich entblößt war. Er war den Blicken anderer Arbeitskollegen und deren Gelächter ausgesetzt. Der Leiharbeitnehmer beschwerte sich darüber beim Arbeitgeber. Der Arbeitgeber kündigte dem Arbeitnehmer, der dem Kollegen die Hose heruntergezogen hatte, deswegen außerordentlich. Dagegen erhob der Mitarbeiter Kündigungsschutzklage. Die Kündigung sei u.a. unwirksam, weil kein wichtiger Grund für die Kündigung vorlag. Der Leiharbeitnehmer habe ihm sechs Monate zuvor die Arbeitshose heruntergezogen und er wollte auch nur die Arbeitshose herunterziehen. Das Urteil: Herunterziehen der Hose und Unterhose ist grundsätzlich Kündigungsgrund wegen sexueller Belästigung Vor dem BAG bekam der Arbeitgeber letztlich Recht. Das Gericht war der Überzeugung: Die Kündigung sei nach den bisherigen Feststellungen nicht unwirksam. Denn der Mitarbeiter, der dem Kollegen Hose und Unterhose heruntergezogen hatte, habe damit seine Rücksichtnahmepflicht bzgl. der Arbeitgeberinteressen gem. § 241 Abs. 2 BGB erheblich verletzt. Der Arbeitgeber habe ein schutzwürdiges Interesse, dass seine Arbeitnehmer*innen im Betrieb auch mit Leiharbeitnehmer*innen respektvoll umgehen und „gedeihlich“ zusammenarbeiten. Er ist verpflichtet, auch diese Mitarbeiter vor sexuellen Belästigungen zu schützen. Durch sein Verhalten verletzte der Arbeitnehmer das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Leiharbeitnehmers aus Art. 2 Abs. 1 iVm Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz (GG). Das Entblößen der Genitalien des Leiharbeitnehmers stelle einen erheblichen und entwürdigenden Eingriff in dessen Intimsphäre dar. Zugleich sei dieses Verhalten eine sexuelle Belästigung iSv § 3 Abs. 4 AGG. Denn auch das Entblößen von Genitalien sei eine sexuelle Belästigung, selbst wenn es dabei nicht zu Berührungen kommt. Das Entblößen verletze das Recht, selbst darüber zu bestimmen, wem gegenüber und in welcher Situation man sich unbekleidet zeigen möchte. Aus diesen Gründen sei das Verhalten des Arbeitnehmers eine schwere Pflichtverletzung und damit „an sich“ geeignet, eine außerordentliche Kündigung im Sinne von § 626 Abs. 1 BGB zu begründen. Zurückverweisung an vorherige Instanz Das BAG erklärte allerdings, dass die Sache nicht entscheidungsreif sei. Der Arbeitnehmer hatte behauptet, dass er dem Leiharbeitnehmer nicht auch die Unterhose herunterziehen wollte. Ihn nackt dastehen zu lassen, sei keine Absicht gewesen. Laut BAG fehlte es hier am Nachweis, dass der Mitarbeiter mit einer sexuellen Intention die Hose des Kollegen heruntergezogen hatte. Der Nachweis darüber sei aber notwendig, um feststellen zu können, wie schwer die Pflichtverletzung tatsächlich war. Ohne das ist es in den Augen der BAG-Richter nicht möglich, sachgerecht abzuwägen, ob das Interesse des Arbeitgebers an der Kündigung oder das Interesse des Mitarbeiters an der Fortführung des Arbeitsverhältnisses überwiegt (Interessenabwägung). Weil der Sachverhalt in den Augen des BAG nicht ausreichend geklärt war, verwies das BAG den Rechtsstreit zurück an das Berufungsgericht. Und die Moral von der Geschicht … Kollegen Hose und Unterhose herunterzuziehen, sodass Kolleginnen und Kollegen den nackten Genitalbereich sehen können, ist an sich ein ausreichender Grund für eine außerordentliche Kündigung für den Übeltäter. Aber: Es muss eben hinreichend bewiesen sein, dass exakt das Entblößen auch Absicht war. Denn das macht hier den entscheidenden Unterschied zwischen einem üblen Scherz und einer sexuellen Belästigung. Haben Sie eine Kündigung wegen sexueller Belästigung am Arbeitsplatz bekommen? Lassen Sie sich von mir beraten. Sie erreichen mich telefonisch in Augsburg unter 08215 / 08 526 60 oder per E-Mail an: kanzlei@schleifer-arbeitsrecht.de. weiterlesen
Ein heimlicher Gesprächsmitschnitt eines Personalgesprächs rechtfertigt nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) grundsätzlich durchaus eine Kündigung, auch eine außerordentliche Kündigung. Denn das nicht öffentlich gesprochene Wort eines anderen darf auch im Betrieb nicht heimlich mitgeschnitten werden. Das Landesarbeitsgericht (LAG) Rheinland-Pfalz entschied nun darüber, ob eine heimliche Gesprächsaufzeichnung immer eine außerordentliche Kündigung rechtfertigt oder ob ein Gesprächsmitschnitt im Einzelfall auch gerechtfertigt sein kann (LAG Rheinland-Pfalz, Urteil v. 19.11.2021, Az.: 2 Sa 40/21) und eine Kündigung deswegen unwirksam ist. (Außerordentliche) Kündigung wegen heimlicher Gesprächsmitschnitt Bei einer außerordentlichen Kündigung wegen einer heimlichen Gesprächsaufzeichnung ist der Kündigungsgrund für die verhaltensbedingte Kündigung die Verletzung der Rücksichtnahmepflicht: Mitarbeitende verletzen mit einem heimlichen Gesprächsmitschnitt die Pflicht zur Rücksichtnahme auf berechtigte Arbeitgeberinteressen. Solche Interessen sind z.B. der Schutz der Vertraulichkeit des nicht öffentlich gesprochenen Wortes oder die Wahrung der Persönlichkeitsrechte seiner Mitarbeitenden (z.B. von Führungskräften). Damit eine außerordentliche Kündigung wirksam ist, muss die Kündigung außerdem insgesamt verhältnismäßig sein. D.h. das Interesse des Arbeitgebers an der Kündigung muss gegenüber dem Interesse der betroffenen Person an der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses deutlich überwiegen. Berücksichtigt werden dabei u.a. Gründe, die das Fehlverhalten rechtfertigen könnten. Aber auch die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen bisheriger Verlauf werden im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung berücksichtigt. Ist dem Arbeitgeber die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nach Abwägung aller Interessen zumutbar, ist die Kündigung unwirksam. Heimliche Handyaufnahme bei Vier-Augen-Gespräch mit Vorgesetztem Im Fall des LAG stritten Arbeitgeber und ein Arbeitnehmer über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung. Grund für die außerordentliche Kündigung war, dass der Mitarbeiter ein Gespräch mit seinem Vorgesetzten heimlich mit dem Smartphone aufgezeichnet hatte. Der Arbeitnehmer war seit 17 Jahren im Drogeriemarkt des Arbeitgebers störungsfrei beschäftigt. Wegen eines Streits mit einer Kollegin bat er seinen Vorgesetzten um ein Gespräch. Bei diesem Vier-Augen-Gespräch kam es zum Streit. Der Arbeitnehmer nahm das Gespräch teilweise heimlich auf. Als der Arbeitgeber von der Aufnahme erfuhr, kündigte er dem Arbeitnehmer fristlos. Die heimliche Gesprächsaufnahme sei eine Straftat nach § 201 Strafgesetzbuch (StGB) und damit eine so schwerwiegende Pflichtverletzung, dass sie eine fristlose Kündigung rechtfertige. Der Arbeitnehmer erhob Kündigungsschutzklage. Die Kündigung sei unwirksam. Sein Vorgesetzter habe ihn schon zuvor mit unsachgemäßen, diskriminierenden und ehrverletzenden Äußerungen beleidigt. Dann habe sein Vorgesetzter ihm vermittelt, dass ihm eh niemand glauben würde, wenn er sich über die Beleidigungen äußere. Aus der Sicht des Arbeitnehmers befand er sich deswegen in einer Notsituation. Er habe das Gespräch daher nach der Provokation aufgezeichnet, um die Äußerungen beweisen zu können. Sein Handeln sei daher gerechtfertigt und begründe keine fristlose Kündigung. Er habe nicht gewusst, dass er eine Straftat begehe. Außerordentliche Kündigung wegen heimlichem Gesprächsmitschnitt unverhältnismäßig Das LAG gab dem Arbeitnehmer Recht. Die Kündigung sei unverhältnismäßig und damit unwirksam. Grundsätzlich könne eine heimliche Gesprächsaufzeichnung zwar zu einer außerordentlichen Kündigung führen. Allerdings überwiege hier das Arbeitnehmerinteresse am Fortbestand des Arbeitsverhältnisses. Die strafrechtliche Würdigung sei nicht entscheidend. Die Schilderungen des Mitarbeiters würden die vorgeworfene Pflichtverletzung weniger schwerwiegend erscheinen lassen. Denn die heimliche Aufnahme erfolgte spontan, nachdem der Vorgesetzte erklärt hatte, dass man ihm sowieso nicht glauben würde, wenn er Beleidigungen behaupten würde. Angesichts dieser Umstände sei es verständlich, dass der Mitarbeiter seine Situation in dem Vier-Augen-Gespräch als ausweglos ansah. Grund dafür sei das Verhalten des Vorsetzten selbst gewesen. Verbotsirrtum Und selbst dann, wenn die geschilderte Situation nicht als Rechtfertigung zu sehen wäre, habe sich der Arbeitnehmer zumindest über die Pflichtwidrigkeit seines Tuns geirrt. Dieser — wenn auch vermeidbare — Verbotsirrtum sei bei der Beurteilung der Schwere der Pflichtverletzung entlastend für den Mitarbeiter zu berücksichtigen. Nicht zuletzt sei der Mitarbeiter seit 17 Jahren beim Arbeitgeberunternehmen beschäftigt und das reibungslos. Eine außerordentliche Kündigung sei in diesem Fall also insgesamt unverhältnismäßig und damit unwirksam. Ausnahmenurteil Dieses Urteil stellt eine Ausnahme in einer Reihe von Urteilen dar, die eine außerordentliche Kündigung wegen einer heimlichen Gesprächsmitschnitt für gerechtfertigt ansehen. Maßgeblich für dieses Urteil waren die besonderen Umstände des Einzelfalls! Deswegen gilt es grundsätzlich weiterhin zu beachten: Heimliche Gesprächsaufzeichnungen sind verboten und können eine außerordentliche Kündigung zur Folge haben! Haben Sie Ihren Arbeitgeber heimlich aufgenommen? Haben Sie eine Kündigung wegen eines heimlichen Mitschnitts bekommen? Ich berate Sie gerne! Sie erreichen mich telefonisch unter 08215 / 08 526 60 oder per E-Mail an kanzlei@schleifer-arbeitsrecht.de. weiterlesen
Lange im Homeoffice und nun zurück ins Büro? Für viele Arbeitnehmer*innen nicht unbedingt das, was man sich wünscht. Verlangt der Arbeitgeber die Rückkehr an den Büroarbeitsplatz, fühlt sich das dann durchaus an wie eine Versetzung. Aber ist es auch eine Versetzung? Darüber entschied das Bundesarbeitsgericht (BAG) und befasste sich dabei u.a. mit der Frage, ob der Arbeitgeber die Zustimmung des Betriebsrats braucht, wenn er Arbeitnehmer*innen vom Homeoffice-Arbeitsplatz zurück an den Arbeitsplatz im Büro holt (BAG, Beschluss v. 20.10.2021, Az.: 7 ABR 34/20). Versetzung: Wann brauchen Arbeitgeber die Zustimmung des Betriebsrats? Die Zustimmung des Betriebsrats ist bei Maßnahmen des Arbeitgebers u.a. notwendig, wenn es sich bei der Maßnahme um eine mitbestimmungspflichtige Versetzung handelt (§§ 95 Abs. 3, 99 Abs. 1 S. 1 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG)). Damit eine Versetzung im arbeitsrechtlichen Sinne vorliegt, muss der Arbeitgeber dem Mitarbeitenden allerdings einerseits einen anderen Arbeitsbereich zuweisen, die Arbeitsumstände müssen sich erheblich ändern und die Maßnahme muss mehr als einen Monat andauern. Eine Verweigerung der Zustimmung ist nur rechtmäßig, wenn ein gesetzlicher Zustimmungsverweigerungsgrund nach § 99 Abs. 2 Nr. 1 bis 6 BetrVG vorliegt. Ist eine Zustimmung notwendig, verweigert der Betriebsrat aber seine Zustimmung unrechtmäßig, kann der Arbeitgeber beim Arbeitsgericht die gerichtliche Zustimmungsersetzung beantragen. Liegt kein Verweigerungsgrund vor, erfolgt die gerichtliche Ersetzung der Zustimmung. Vom Homeoffice zurück ins Büro – der Fall vor dem BAG Im Fall vor dem BAG stritten Arbeitgeber und Betriebsrat darüber, ob der Betriebsrat die Zustimmung zu einer „Versetzung“ verweigern durfte: Bei der „Versetzung“ ging es um den Widerruf einer arbeitsvertraglichen Vereinbarung zur Homeoffice-Tätigkeit. Hintergrund war eine Zusatzvereinbarung zum Arbeitsvertrag zwischen einem Arbeitgeberunternehmen und einer Arbeitnehmerin über die Beschäftigung an einem Homeoffice-Arbeitsplatz. Bestandteil der Vereinbarung war u.a. auch ein beiderseitiges, nicht zu begründendes Widerrufsrecht in Bezug auf die Arbeit im Homeoffice. Nachdem die Arbeitnehmerin 12 Jahre im Homeoffice arbeitete, entschied sich der Arbeitgeber zum Widerruf der Homeoffice-Befugnis und bat den Betriebsrat um Zustimmung. Als Grund für den Widerruf gab er an, dass eine veränderte Aufgabenstellung und entstandene Mehrarbeit eine engere und kurzfristige Abstimmung im Team und damit eine Ortsanwesenheit im Büro erfordern würden. Der Betriebsrat verweigerte die Zustimmung und berief sich auf § 99 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 4 BetrVG: Der Widerruf verstoße gegen den Arbeitsvertrag. Die Wegezeiten und Fahrtkosten seien für die Arbeitnehmerin Nachteile, die nicht betrieblich gerechtfertigt seien. Die Erbringung der Arbeit sei weiterhin vom Homeoffice-Arbeitsplatz möglich. Dagegen richtete sich der Arbeitgeber mit einem Zustimmungsersetzungsantrag vor dem Arbeitsgericht. Das Arbeitsgericht und das Landesarbeitsgericht gaben dem Arbeitgeber Recht und ersetzten die vom Betriebsrat verweigerte Zustimmung. Deshalb zog der Betriebsrat vor das BAG. BAG: Kein Zustimmungsverweigerungsrecht bei betriebsbedingter Versetzung Aber auch vor dem BAG bekam der Arbeitgeber Recht: Die verweigerte Zustimmung des Betriebsrats war zu ersetzen, denn ein Zustimmungsverweigerungsgrund bestünde nicht, so die Richter. Grundsätzlich sei die Zustimmung des Betriebsrats erforderlich: Wenn ein Arbeitgeber einen Arbeitnehmer, der bislang im Homeoffice tätig war, wieder ausschließlich an der Betriebsstätte einsetzen will, handle es sich um eine Versetzung im arbeitsrechtlichen Sinne. Außerdem durfte der Betriebsrat seine Zustimmung nicht verweigern, weil kein Grund für die Verweigerung der Zustimmung vorlag: Durch die Versetzung ergebe sich kein Verstoß gegen ein Gesetz, gegen einen Tarifvertrag oder eine Betriebsvereinbarung usw. Die Wirksamkeit arbeitsvertraglicher Regelungen wird gar nicht geprüft, wenn es um die Verweigerung der Zustimmung nach § 99 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG geht. Auch könne der Betriebsrat die Zustimmung nicht nach § 99 Abs. 2 Nr. 4 BetrVG verweigern. Denn die Arbeitnehmerin wurde hier nicht benachteiligt, ohne dass es dafür betriebsbedingte Sachgründe gebe. Denn der Arbeitgeber hatte in diesem Fall eine unternehmerische Entscheidung getroffen, die aus betrieblichen Gründen gerechtfertigt war. Eine Prüfung der unternehmerischen Entscheidung im Hinblick auf ihre Zweckmäßigkeit erfolgt nicht. Fazit Die Entscheidung des BAG zeigt: Ein Betriebsrat muss sich auf gesetzliche Verweigerungsgründe nach dem BetrVG berufen können, um wirksam die Zustimmung zu einer zustimmungspflichtigen Versetzung verweigern zu können. Andernfalls ersetzt das Gericht schlichtweg die verweigerte Zustimmung. Ob die unternehmerische Entscheidung des Arbeitgebers zweckmäßig war, ist für diese Entscheidung irrelevant, solange betroffene Mitarbeitende nicht ohne betriebsbedingte Sachgründe benachteiligt werden. Haben Sie Fragen zum Thema Versetzung und Änderungskündigung? Oder sind Sie Betriebsrat und benötigen Unterstützung in einem solchen Fall vor dem Arbeitsgericht? Sie erreichen mich telefonisch unter 08215 / 08 526 60 oder per E-Mail an: kanzlei@schleifer-arbeitsrecht.de.weiterlesen
Die Verlegung des Arbeitsplatzes im selben Betrieb oder der Umzug in ein anderes Bürogebäude ist bei Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen meist wenig beliebt. Damit deren Belange bei der Entscheidung über Arbeitsstandorte ausreichend Berücksichtigung finden, hat der Betriebsrat in solchen Fällen ein Mitbestimmungsrecht — zumindest bei einer sog. Versetzung. Doch wann liegt eine Versetzung vor? Reicht der Umzug in ein neues Bürogebäude? Darüber hatte das Bundesarbeitsgericht (BAG) zu entscheiden (Beschluss v. 17.11.2021, Az.: 7 ABR 18/20). Was ist eine mitbestimmungspflichtige Versetzung? Eine mitbestimmungspflichtige Versetzung ist eine Versetzung, bei der dem Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht zusteht. Nach §§ 95 Abs. 3, 99 Abs. 1 S. 1 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) liegt unter folgenden Voraussetzungen eine zustimmungspflichtige Versetzung vor: Zuweisung eines anderen Arbeitsbereichs für die Dauer von mindestens einem Monat und mehr oder verbunden mit erheblichen Änderungen der Arbeitsumstände. In einem solchen Fall braucht der Arbeitgeber dann vor der Durchführung der Versetzung die Zustimmung des Betriebsrats. Versäumt er die Einholung der Zustimmung, kann der Betriebsrat beim Arbeitsgericht beantragen, dem Arbeitgeber aufzugeben, die Maßnahme aufzuheben (§ 101 BetrVG). Um so einen Aufhebungsantrag ging es im Fall vor dem Bundesarbeitsgericht. Ein Büro zieht um – zustimmungspflichtige Versetzung? Ein Betriebsrat stritt mit dem Arbeitgeberunternehmen wegen der Verlagerung des Beschäftigungsorts mehrerer Arbeitnehmer*innen und verlangte die Aufhebung der Maßnahme. Das Arbeitgeberunternehmen informierte den Betriebsrat, dass der Umzug von 59 Arbeitnehmer*innen einer Büroabteilung innerhalb Berlins geplant sei. Sie sollten von einem Bürogebäude in ein 12,1 km entferntes Bürogebäude umziehen. Am bisherigen Standort waren die Mitarbeiter*innen etwa zur Hälfte in einem Großraumbüro und in mehreren kleineren Büros untergebracht. Am neuen Standort sollten alle Mitarbeitenden in zwei Großraumbüros an Desk-Sharing-Arbeitsplätzen arbeiten. Die Art der Tätigkeiten, die funktionalen Beziehungen der betroffenen Mitarbeitenden untereinander, die Einordnung in die Arbeitsabläufe und die Zuständigkeiten von Vorgesetzten sollten sich nicht ändern. Diesen Umzug setzte das Arbeitgeberunternehmen ohne Beteiligung des Betriebsrats um. Der Betriebsrat sah darin einen Verstoß gegen sein Mitbestimmungsrecht. Die Verlagerung der Arbeitnehmer*innen durch den Umzug in ein neues Büro sei eine mitbestimmungspflichtige Versetzung. Da die Maßnahme ohne Beteiligung des Betriebsrats umgesetzt wurde, sei sie nach § 101 BetrVG aufzuheben. Das Arbeitsgericht (ArbG) wies den Antrag des Betriebsrats auf Aufhebung der Versetzung ab. Die dagegen gerichtete Beschwerde des Betriebsrats wies das Landesarbeitsgericht (LAG) zurück. Daraufhin erhob der Betriebsrat Rechtsbeschwerde zum BAG. BAG: Räumliche Verlagerung ist keine mitbestimmungspflichtige Versetzung Das BAG teilte die Auffassung des Betriebsrats nicht. Das Arbeitgeberunternehmen sei nicht verpflichtet, die Verlegung der Arbeitsplätze nach § 101 BetrVG aufzuheben. Die Maßnahme sei ohne Zustimmung des Betriebsrats zulässig gewesen: die örtliche Verlagerung einer Betriebsabteilung innerhalb einer politischen Gemeinde sei keine mitbestimmungspflichtige Versetzung nach §§ 99 Abs. 1 S. 1, 95 Abs. 3 BetrVG. Der Arbeitsortwechsel ändere die funktionalen Beziehungen der Arbeitnehmer*innen untereinander und die Art ihrer Tätigkeit nicht. Auch die Einordnung in die Arbeitsabläufe des Betriebs und die Zuständigkeiten von Vorgesetzten blieben gleich. Denn den Betroffenen würde durch den Umzug in ein neues Büro kein anderer Arbeitsbereich zugewiesen. Um die Zuweisung eines anderen Arbeitsbereichs handele es sich nur, wenn sich das gesamte Bild der Tätigkeit der Mitarbeitenden so verändere, dass die neue Tätigkeit als eine „andere“ anzusehen wäre. Das sei hier nicht der Fall. Die räumliche Entfernung von 12 km spiele hierbei keine Rolle. Das gelte wenigstens, solange die Verlagerung der Betriebsstätte innerhalb einer Gemeinde ohne sonstige Änderungen der betrieblichen Strukturen stattfindet. Zwar bewirke eine Standortverlagerung teilweise eine nicht unerhebliche Änderung der Wegzeiten für die betroffenen Arbeitnehmer*innen, habe aber keinen Einfluss auf den Arbeitsbereich. Eine Änderung des Arbeitsbereichs sei auch nicht darin zu sehen, dass es am neuen Standort ausschließlich Gemeinschaftsbüros mit Desk-Sharing-Arbeitsplätzen gibt. Rein räumliche Veränderung ist keine Versetzung Das BAG macht hier deutlich, worum es bei der mitbestimmungspflichtigen Versetzung geht: Die Änderung des Arbeitsbereichs betroffener Mitarbeitender. Gibt es für Mitarbeitende bei der räumlichen Verlegung des Arbeitsplatzes keine Auswirkungen auf den Arbeitsbereich, ist der Betriebsrat nicht zu beteiligen. Ihr Arbeitgeber plant Ihre Versetzung? Sie sind nicht sicher, ob das ohne Zustimmung des Betriebsrats geht? Ich beantworte gerne Ihre Fragen zum Thema! Sie erreichen mich telefonisch unter 08215 / 08 526 60 oder per E-Mail an kanzlei@schleifer-arbeitsrecht.de.weiterlesen
Ein Sozialplan dient grundsätzlich dazu, wirtschaftliche Nachteile auszugleichen, die Arbeitnehmer durch ihren Arbeitsplatzverlust nach einer betriebsbedingten Kündigung erleiden. Doch was ist, wenn ein Sozialplan einzelne Gruppen von Abfindungszahlungen vollständig ausschließt? Ist das zulässig? Über diese Frage hatte das Bundesarbeitsgericht (BAG) in einem Fall zu entscheiden, in dem ein Sozialplan Abfindungen für alle Arbeitnehmer ausschloss, die kurz vor der Rente standen (sog. rentennahe Arbeitnehmer, BAG, Beschluss v. 07.05.2019, Az.: 1 ABR 54/17). Der Betriebsrat sah in dem Ausschluss eine unzulässige Ungleichbehandlung wegen Alters. Ungleichbehandlung der Arbeitnehmer wegen Alters Im Arbeitsrecht gilt der betriebsverfassungsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz nach § 75 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG). Danach sind alle im Betrieb tätigen Personen nach den Grundsätzen von Recht und Billigkeit zu behandeln und jede Benachteiligung hat zu unterbleiben. Arbeitgeber und Betriebsrat haben das zu überwachen und dürfen auch keine Vereinbarungen schließen, die eine Benachteiligung bewirken. Wann eine Maßnahme oder Regelung den Arbeitnehmer tatsächlich benachteiligt und wann das ausnahmsweise zulässig sein kann, konkretisiert das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG). Für Benachteiligungen wegen Alters gilt insbesondere § 10 AGG, der zulässige Ungleichbehandlungen wegen Alters aufzählt. Dabei bestimmt § 10 Abs. 1 S. 1 AGG, dass eine unterschiedliche Behandlung wegen Alters immer dann zulässig ist, wenn sie objektiv, angemessen und durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt ist. Das bedeutet für Arbeitnehmer, dass eine Benachteiligung wegen Alters nicht automatisch eine unzulässige Benachteiligung ist. Die Zulässigkeit ist im Einzelfall anhand der Bestimmungen des § 10 AGG zu prüfen. Genau darum ging es im vorliegenden Fall des BAG. Sozialplanabfindung für rentennahe Arbeitnehmer ausgeschlossen Arbeitgeber und Betriebsrat stritten sich um die Frage der Wirksamkeit eines wegen Betriebsstilllegung beschlossenen Sozialplans. Da sich Arbeitgeber und Betriebsrat nicht einig waren, wurde der Sozialplan durch einen Spruch der Einigungsstelle beschlossen. Es sollten Abfindungszahlungen erfolgen, die sich u.a. nach der Betriebszugehörigkeit und dem Alter der Arbeitnehmer berechneten. Abfindungen für rentennahe Arbeitnehmer waren in dem Sozialplan ausgeschlossen: Arbeitnehmer, die entweder unmittelbar nach dem Ausscheiden oder im Anschluss an eine mögliche Bezugnahme von Arbeitslosengeld I einen gekürzten oder ungekürzten Anspruch auf Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung haben, sollten keine Abfindung bekommen. Der Betriebsrat erklärte die Anfechtung des Einigungsspruchs. Er hielt die Ausschlussklausel im Sozialplan für eine nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung der Arbeitnehmer wegen ihres Alters. Das Arbeitsgericht (ArbG) der ersten Instanz wies die Anfechtung zurück. In der zweiten Instanz bekam der Betriebsrat Recht. Der Arbeitgeber erhob daraufhin Rechtsbeschwerde vor dem BAG. BAG-Beschluss: Ungleichbehandlung wegen Alters kann zulässig sein Das BAG gab dem Arbeitgeber Recht: Durch den Ausschluss von rentennahen Arbeitnehmern im Sozialplan sei der betriebsverfassungsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz nicht verletzt. Das ergebe die Verhältnismäßigkeitsprüfung im Einzelfall. Der im Sozialplan vorgesehene Abfindungsausschluss für Arbeitnehmer bewirke zwar sehr wohl deren unmittelbare Benachteiligung wegen des Alters i.S.v. § 3 Abs. 1 AGG. Die sei allerdings sachlich gerechtfertigt. Die Ungleichbehandlung für Arbeitnehmer sei nach § 10 AGG zulässig. Das BAG erklärte dazu, dass Sozialplanleistungen eine zukunftsbezogene Ausgleichs- und Überbrückungsfunktion haben. Bei „rentennahen“ Arbeitnehmern dürften die Sozialplanleistungen nach § 10 S. 3 Nr. 6 Alt. 2 AGG daher stärker an den tatsächlich eintretenden wirtschaftlichen Nachteilen orientiert werden, die durch den bevorstehenden Arbeitsplatzverlust und eine damit einhergehende Arbeitslosigkeit drohen. Das sei vorliegend geschehen. Die Einigungsstelle durfte bei den rentennahen Arbeitnehmern von einer hinreichenden wirtschaftlichen Absicherung ohne Abfindung ausgehen. Bei Arbeitnehmern ohne Rentenanspruch seien die Nachteile hingegen schwerer abzuschätzen, weshalb höhere Sozialplanleistungen angemessen und erforderlich seien. Die Benachteiligung beruhe somit auf einem legitimen Ziel und der Ausschluss sei angemessen. Fazit Diese Entscheidung zeigt, dass eine Ungleichbehandlung wegen Alters im Sozialplan nicht immer gegen das Benachteiligungsverbot verstößt. Gibt es seitens des Arbeitgebers legitime Sachgründe, kann eine Benachteiligung einzelner Arbeitnehmer zulässig sein. Werden Sie durch einen Sozialplan aufgrund Ihres Alters oder eines anderen Grundes benachteiligt? Lassen Sie sich von mir beraten, wie Sie Ihre Ansprüche durchsetzen! Sie erreichen mich telefonisch unter 08215 / 08 526 60, über das anwalt.de-Kontaktformular oder per E-Mail an kanzlei@schleifer-arbeitsrecht.de. weiterlesen
Bei betriebsbedingten Kündigungen einigen sich Arbeitgeber und Betriebsrat regelmäßig auf einen sog. Sozialplan für alle von den Kündigungen betroffenen Arbeitnehmer*innen. Der Sozialplan regelt u.a. Kündigungsbedingungen und Abfindungsregelungen. Normalerweise sollen diese Regelungen für eine Gleichbehandlung aller Betroffenen sorgen. Im Einzelfall können die Regelungen allerdings zu einer Benachteiligung Einzelner oder einzelner Arbeitnehmergruppen führen. So war es auch in einem Fall des Bundesarbeitsgerichts (BAG), bei dem sich ein Arbeitnehmer durch eine Sozialplanregelung wegen seines Alters und seiner Schwerbehinderung benachteiligt fühlte (BAG, Urteil v. 16.07.2019, Az.: 1 AZR 842/16). Wann spricht man im Arbeitsrecht von einer Benachteiligung? Im Arbeitsrecht gilt der allgemeine Gleichbehandlungsgrundsatz. Nach § 75 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) sind alle im Betrieb tätigen Personen nach den Grundsätzen von Recht und Billigkeit zu behandeln. Jede Benachteiligung von Personen z.B. wegen Geschlecht, Behinderung oder Alter soll unterbleiben. Definiert wird die Benachteiligung im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG). Danach liegt eine Benachteiligung vor, wenn eine Ungleichbehandlung existiert, ohne dass es dafür ein rechtmäßiges Ziel gibt, das eine Ungleichbehandlung rechtfertigen würde. Fehlt es an einem sog. rechtfertigenden Sachgrund, sind Ungleichbehandlungen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern nicht rechtmäßig. Das wiederum kann – je nach konkreter Situation – unterschiedliche rechtliche Folgen haben. Worum ging es im BAG-Fall? In dem Fall vor dem BAG stritten sich der Arbeitgeber und einer seiner Arbeitnehmer um die Berechnung der Höhe einer Sozialplanabfindung. Der Arbeitnehmer war 56 Jahre alt und schwerbehindert. Da eine Betriebsstillegung geplant war, hatten Arbeitgeber und Betriebsrat sich auf einen Sozialplan geeinigt. Der war Auslöser des Rechtsstreits. Denn im Sozialplan war u.a. für ältere Arbeitnehmer geregelt, dass diese ein individuelles Angebot zum Ausscheiden aus dem Unternehmen erhalten sollen. Die Regelung zur Bemessung der Abfindung stellte darauf ab, dass eine 80 %-ige Nettoabsicherung bis zum frühestmöglichen Wechsel in die gesetzliche Rente sichergestellt ist. ALG I und Bezüge aus der Altersversorgung ab dem 60. Lebensjahr sollten dabei angerechnet werden. Für jüngere Arbeitnehmer hingegen sollte sich die Abfindung rein auf der Basis von Entgelt und Betriebszugehörigkeit errechnen. Der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer beendeten das Arbeitsverhältnis mit einem Aufhebungsvertrag, der nach der Berechnung auf Grundlage des Sozialplans für ältere Arbeitnehmer eine Abfindung i.H.v 7.615,14 Euro brutto vorsah. Das fand der Arbeitnehmer ungerecht und klagte vor dem Arbeitsgericht. Er forderte, dass seine Abfindung nicht nach der Formel für ältere, sondern für jüngere Arbeitnehmer berechnet werden soll. Danach würde seine Abfindung 145.977,21 Euro brutto betragen. Die Berechnung seiner Abfindung nach der Formel für ältere Arbeitnehmer bewirke in seinem Fall eine Benachteiligung aufgrund seines Alters und seiner Behinderung. In jedem Fall dürfe bei einer Berechnung seiner Abfindung nur das frühestmögliche Renteneintrittsalter für nicht schwerbehinderte Menschen zugrunde gelegt werden. BAG-Urteil: Sozialplanregelung beinhaltet keine Benachteiligung wegen Alters Das BAG lehnte einen Anspruch des Arbeitnehmers auf Berechnung der Abfindung nach der Formel für jüngere Arbeitnehmer ab. Die Sozialplanregelung zur Abfindungsberechnung benachteilige ihn zwar mittelbar wegen seiner Schwerbehinderung, aber nicht wegen seines Alters. Eine andere Abfindungsberechnung komme nicht in Betracht. Die Sozialplanregelung bewirke eine ungerechtfertigte Benachteiligung schwerbehinderter Menschen, da sie zur Berechnung der Höhe einer Abfindung auf den „frühestmöglichen“ Bezug einer gesetzlichen Rente abstellt. Da schwerbehinderte Menschen drei Jahre früher in die gesetzliche Rente eintreten dürfen als nicht behinderte Menschen, wird der Abfindungsanspruch hier aufgrund der Behinderung verkürzt. Diese Ungleichbehandlung ist nicht sachlich gerechtfertigt. Dem benachteiligten Arbeitnehmer sind daher dieselben Vorteile zu gewähren wie den nicht benachteiligten Arbeitnehmern. Das heißt, die Abfindung ist insoweit für die Vergangenheit „nach oben“ anzupassen. Es bleibe somit bei der Abfindungsberechnung für ältere Arbeitnehmer. Allerdings sei der Anspruch auf der Grundlage des Renteneintrittsalter nicht behinderter älterer Arbeitnehmer zu berechnen. Eine ungerechtfertigte Benachteiligung wegen Alters läge hingegen nicht vor. Die unterschiedliche Behandlung der Arbeitnehmer wegen Alters sei nach § 10 S. 1 und 2 AGG sachlich gerechtfertigt. Mit der Differenzierung bei der Berechnungsmethode werde ein legitimes Ziel verfolgt: Der pauschalierte Ausgleich für die Zukunft soll nach den Bedürfnissen der betroffenen Arbeitnehmer gewährt werden. Nach dem BAG sind die unterschiedlichen Berechnungsmethoden bei der Abfindungshöhe für die jeweiligen Altersgruppen erforderlich und objektiv geeignet, das gewünschte Ziel zu erreichen. Eine Benachteiligung durch eine geringere Abfindungshöhe aufgrund des Alters ist daher im Einzelfall durch einen Sachgrund gerechtfertigt. Fazit Wann eine Ungleichbehandlung einzelner Arbeitnehmer durch einen Sozialplan ungerechtfertigt ist, ist meist eine Einzelfallentscheidung. Nur in Fällen, in denen bereits objektiv ein Sachgrund für eine Benachteiligung fehlt, ist eine Ungleichbehandlung rechtswidrig. Gibt es eine Regelung im Sozialplan, die Sie aufgrund Ihres Alters oder einer Schwerbehinderung benachteiligt? Lassen Sie sich von mir beraten, wie Sie Ihre Ansprüche durchsetzen! Sie erreichen mich telefonisch unter 08215 / 08 526 60 oder per E-Mail an kanzlei@schleifer-arbeitsrecht.de. weiterlesen
Bei einer Betriebsneuausrichtung oder -schließung wird in einigen Fällen ein Sozialplan aufgestellt. Der Sozialplan ist in § 112 Abs. 1 Satz 2 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) geregelt. Im Sozialplan können Arbeitgeber und Betriebsrat Regelungen im Zusammenhang mit der Betriebsänderung treffen. Sie können beispielsweise regeln, dass ein Stellenabbau bestimmte Arbeitnehmergruppen nicht trifft oder in welcher Höhe die betroffenen Mitarbeiter eine Abfindung erhalten. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat sich in einem Urteil (BAG, Urteil v. 28.07.2020, Az.: 1 AZR 590/18) mit der Frage befasst, wann ein Sozialplan eine mittelbare Benachteiligung wegen einer Schwerbehinderung darstellt. Keine Benachteiligung im Sozialplan In der Gestaltung eines Sozialplans sind die Betriebsparteien nicht vollkommen frei. Sozialpläne unterliegen der gerichtlichen Rechtmäßigkeitskontrolle. Insbesondere darf ein Sozialplan nicht einzelne Arbeitnehmer benachteiligen. Sozialpläne müssen höherrangigem Recht entsprechen, insbesondere dem betriebsverfassungsrechtlichen Gleichheitsgrundsatz nach § 75 Abs. 1 BetrVG. Dieser untersagt jegliche Benachteiligung von Personen aus Gründen ihrer ethnischen Herkunft, Abstammung, Nationalität, Religion oder Weltanschauung, ihrer Behinderung, ihres Alters, politischen oder gewerkschaftlichen Betätigung, wegen des Geschlechts oder der sexuellen Identität. Außerdem ist das Benachteiligungsverbot des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes („Antidiskriminierungsgesetz“, AGG) zu beachten. Der Anwendungsbereich des AGG umfasst u.a. auch „Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen einschließlich Arbeitsentgelt und Entlassungsbedingungen, insbesondere in individual- und kollektivrechtlichen Vereinbarungen und Maßnahmen bei der Durchführung und Beendigung eines Beschäftigungsverhältnisses sowie beim beruflichen Aufstieg“. Sozialplan stellt auf mögliches Renteneintrittsalter ab In dem Fall vor dem Bundesarbeitsgericht ging es um einen 59-jährigen schwerbehinderten Menschen, der seinen Ex-Arbeitgeber verklagte. Sein Betrieb schloss vor einer Einigungsstelle einen Sozialplan. Ein Teil der Arbeitnehmer sollte eine Abfindung erhalten, laut Sozialplan in Höhe eines „fiktiven Differenzbetrages“. Eine der Bezugsgrößen bei der Berechnung der Abfindung war dabei das Datum des regulären Renteneintritts. Zur Berechnungsformel des fiktiven Differenzbetrages gehörte, dass Behinderte – abhängig vom Grad ihrer Behinderung – einen pauschalen Abfindungsbetrag erhielten. Der Arbeitgeber legte bei der Berechnung des Abfindungsbetrags einen frühestmöglichen Renteneintritt bei der Altersrente für schwerbehinderte Menschen zugrunde. Insgesamt sollte sich die Abfindung für den Arbeitnehmer auf knapp 40.000 Euro belaufen. Hätte ein frühestmöglicher Rentenbeginn ohne Schwerbehinderung zugrunde gelegen, hätte sich für den Mitarbeiter eine viel höhere Abfindung in Höhe von rund 100.000 Euro ergeben. Daran nahm der schwerbehinderte Mitarbeiter Anstoß. Er verlangte den Differenzbetrag. Die Regelung im Sozialplan zum pauschalen Abfindungsbetrag für Schwerbehinderte bewirke eine nicht gerechtfertigte Benachteiligung wegen seiner Behinderung. Bei der Berechnung sei vielmehr das frühestmögliche Renteneintrittsalter für nicht schwerbehinderte Menschen zugrunde zu legen. Entscheidung des Gerichts: Arbeitnehmer bekommt Recht Erst vor dem BAG erhielt der schwerbehinderte Mitarbeiter allerdings Recht. Schon das Landesarbeitsgericht (LAG) habe zu Recht angenommen, dass die im Sozialplan vorgesehene Abfindung für schwerbehinderte Menschen gegen § 75 Abs. 1 BetrVG verstoße und Behinderte ungerechtfertigt benachteiligt. Der Mitarbeiter habe Anspruch auf den Differenzbetrag, eine sogenannte „Anpassung nach oben“. Der Passus des Sozialplans, der auf den Renteneintritt Bezug nimmt, stelle eine „mittelbar auf dem Kriterium der Behinderung beruhende Ungleichbehandlung“ dar, urteilte das BAG. Grund: Schwerbehinderte Menschen könnten gemäß § 236a Abs. 1 Satz 2 SGB VI zu einem früheren Zeitpunkt Altersrente vorzeitig in Anspruch nehmen als nicht schwerbehinderte Arbeitnehmer. Dies führe dazu, dass schwerbehinderte Arbeitnehmer eine geringere Abfindung erhalten als nicht schwerbehinderte. Die Regelung im Sozialplan stelle undifferenziert auf den „frühestmöglichen“ Wechsel in die gesetzliche Rente ab, egal ob der betreffende Arbeitnehmer eine Behinderung hat oder nicht. Darin liege eine Benachteiligung. Auch keine Rechtfertigung nach AGG Die Ungleichbehandlung stehe in direktem Zusammenhang mit der Schwerbehinderung und sei nicht im Sinne von § 3 Abs. 2 AGG durch objektive Faktoren gerechtfertigt. Die Berechnungsweise diene zwar einem legitimen Ziel, entschied das BAG. Die Regelung im Sozialplan schieße jedoch über das zur Erreichung dieses Ziels Erforderliche hinaus. Schwerbehinderte Arbeitnehmer und nicht schwerbehinderte Arbeitnehmer seien in Bezug auf die wirtschaftlichen Nachteile durch die Betriebsschließung in einer vergleichbaren Situation, der Sozialplan behandle sie aber unterschiedlich. Das Arbeitsverhältnis beider Gruppen ende aus demselben Grund und unter denselben Voraussetzungen. Deshalb müsse der Arbeitgeber eine Abfindung zahlen und bei der Berechnung den frühestmöglichen Renteneintritt zugrunde legen, der für den Arbeitnehmer gegolten hätte, wenn er nicht schwerbehindert wäre, so das Bundesarbeitsgericht. Regelungen eines Sozialplans können angreifbar sein Dieser Fall zeigt deutlich: auch Regelungen eines Sozialplans können unwirksam und damit angreifbar sein. Insofern ist es durchaus sinnvoll, einen Sozialplan anwaltlich prüfen zu lassen, um ggf. Rechtsfehler aufzudecken, die – wie in diesem Fall – bares Geld wert sein können. Sie haben Fragen zu einem Sozialplan? Als Fachanwalt für Arbeitsrecht berate ich Sie gerne und setze Ihre Ansprüche vor Gericht durch. Sie erreichen mich in Augsburg telefonisch unter 0851 / 207 137 55 oder per E-Mail an kanzlei@schleifer-arbeitsrecht.de.weiterlesen
Der Betriebsrat hat nach Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) ein Mitbestimmungsrecht zu Fragen der betrieblichen Ordnung. Doch was gehört zu den „Fragen der betrieblichen Ordnung“? Sind die Betriebsöffnungszeiten Teil dieser betrieblichen Ordnung oder bestimmt der Arbeitgeber darüber allein? Das Landesarbeitsgericht (LAG) Hessen setzte sich mit dieser Frage auseinander. Es entschied darüber, ob es für den Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht gibt, wenn es darum geht, wann Arbeitnehmer vor Beginn der Arbeitszeit Zugang zum Betrieb erhalten (LAG Hessen, Beschluss v. 8.2.2021, Az.: 16 TaBV 185/20). Was ist Mitbestimmung bei betrieblicher Ordnung? Mitbestimmung heißt, dass der Betriebsrat ein bestimmtes Handeln oder Unterlassen des Arbeitgebers in einem Bereich verlangen kann – sofern der Betriebsrat eben ein Mitbestimmungsrecht hat. Geht es um Themen der betrieblichen Ordnung, besteht grundsätzlich ein solches Mitbestimmungsrecht. Das Mitbestimmungsrecht ist in diesem Fall in § 87 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 1 BetrVG verankert. Bei der betrieblichen Ordnung geht es grundsätzlich um alle Maßnahmen, die das betriebliche Zusammenleben und das Zusammenwirken der Arbeitnehmer betreffen. Das betrifft vor allem allgemeingültige Weisungen, Verhaltensregeln oder andere Maßnahmen, die einen ungestörten Arbeitsablauf und eine reibungslose Zusammenarbeit der Arbeitnehmer im Betrieb sichern (vgl. Bundesarbeitsgericht (BAG), 13.02.2007, Az.: 1 ABR 18/06). Beschließt der Arbeitgeber eine Maßnahme der betrieblichen Ordnung, ohne den Betriebsrat zu beteiligten, kann der Betriebsrat vor Gericht die Unterlassung dieser Maßnahme einfordern. Genau darum ging es in dem Fall des LAG Hessen. Einlass am Drehkreuz Arbeitgeber und Betriebsrat stritten über einen Unterlassungsantrag des Betriebsrats: Der Arbeitgeber sollte es unterlassen, den Arbeitnehmern den Zutritt zum Betrieb vor 5:30 Uhr zu verwehren. Ganz konkret ging es um die Drehkreuze für den Betriebseingang. Diese öffneten sich erst ab 5:30 Uhr. Um 6:00 Uhr war Arbeitszeitbeginn. Mit Beginn der Corona-Pandemie sah der Betriebsrat im kurzen Zeitraum zwischen Betriebsöffnungszeiten (5:30 Uhr) und den betriebsüblichen Arbeitszeiten (6:00 Uhr) ein Problem, den notwendigen Hygieneschutz zu gewährleisten und die geforderten Abstände einzuhalten. Der Betriebsrat forderte deswegen den Arbeitgeber auf, die Drehkreuze früher zu öffnen, und stützte die Forderung auf sein Mitbestimmungsrecht zu Fragen der betrieblichen Ordnung und des Gesundheitsschutzes. Der Arbeitgeber lehnte eine Vorverlegung der Öffnungszeiten ab. Ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates würde nicht bestehen. Dagegen klagte der Betriebsrat. Die Regelungen des Betretens und Verlassens des Betriebs unterlägen der Mitbestimmung nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG. Diese gehörten zur Ordnung des Betriebes. Es sei mitbestimmt zu regeln, wie sich die Arbeitnehmer in Anbetracht der festgelegten Betriebsöffnungszeiten verhalten sollen. Eine Mitbestimmungspflicht ergäbe sich außerdem daraus, dass die Festlegung der Betriebsöffnungszeiten in diesem Falle Fragen des Gesundheitsschutzes betreffen würde. Die Entscheidung: Kein Mitbestimmungsrecht bei Betriebsorganisation Vor Gericht bekam der Arbeitgeber Recht: Die Festlegung der Betriebsöffnungszeiten sei Teil der mitbestimmungsfreien Organisation des Betriebs durch den Arbeitgeber. Damit würde auch kein Unterlassungsanspruch aus § 87 Abs. 1 BetrVG bestehen. Die Praxis des Arbeitgebers, die Drehkreuze erst ab einer bestimmten Uhrzeit zu öffnen, betrifft nicht die Ordnung, sondern die Organisation des Betriebs. Dieser Aspekt unterliegt aber nicht der Mitbestimmung des Betriebsrats. Die Festlegung eines bestimmten Zeitpunkts, zu dem die Drehkreuze öffnen, legt lediglich den Zeitpunkt des Zugangs zum Betriebsgelände vor Arbeitsbeginn fest. Die Berechtigung dazu folgt unmittelbar aus dem Hausrecht des Arbeitgebers. Auch eine mitbestimmungspflichtige Maßnahme des Gesundheitsschutzes nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG sah das Gericht hier nicht. Es geht allein darum, dass die Mitarbeiter erst ab einem bestimmten Zeitpunkt die Drehkreuze passieren können, um den Betrieb zu betreten. Der Arbeitgeber würde mit den Zugangszeiten keine Regelung auf dem Gebiet des Gesundheitsschutzes treffen, sondern schlicht festlegen, wann die Mitarbeiter frühestens die Drehkreuze passieren können. Grenzen der Mitbestimmung nicht immer eindeutig Die Entscheidung zeigt, dass die Grenzen zwischen einer mitbestimmungspflichtigen Maßnahme des Arbeitgebers und einer mitbestimmungsfreien oft auf den ersten Blick nicht eindeutig sind. Bei der Mitbestimmungspflicht zu Fragen der betrieblichen Ordnung kann die Abgrenzung zur mitbestimmungsfreien betrieblichen Organisation beispielsweise problematisch sein. Gibt es Streit um Fragen der Mitbestimmung des Betriebsrats bei einer Arbeitgebermaßnahme? Haben Sie Fragen zur Mitbestimmung im Rahmen der betrieblichen Ordnung? Sie erreichen mich telefonisch unter 08215 / 08 526 60 oder per E-Mail an: kanzlei@schleifer-arbeitsrecht.de. weiterlesen
Ist ein Betriebsrat gewählt und sind Betriebsratsmitglieder für ihre Betriebsratstätigkeit freizustellen, erfolgt eine sog. Freistellungswahl. In dieser Wahl bestimmen die Betriebsratsmitglieder, welche Mitglieder freigestellt werden sollen. Möglich ist neben einer „Vollfreistellung“ grundsätzlich auch eine „Teilfreistellung“. Allerdings kann sich hier die Frage stellen: Muss vor der eigentlichen Freistellungswahl ausdrücklich vom Betriebsrat beschlossen werden, dass auch die Wahl von Teilfreigestellten möglich ist? Darüber entschied nun das Bundesarbeitsgericht (BAG) in einem Fall, in dem grundsätzlich zwei Betriebsratsmitglieder Vollzeit gem. § 38 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) freigestellt werden mussten (BAG, Beschluss v. 24.03.2021, Az.: 7 ABR 6 /20). Was ist eine Freistellungswahl? Ab einer bestimmten Unternehmensgröße müssen in einem Betriebsrat Betriebsratsmitglieder von ihrer Arbeitsverpflichtung freigestellt werden, um ihren Aufgaben als Betriebsrat gerecht werden zu können. Eine vollständige Freistellung ist laut § 38 BetrVG allerdings erst ab einer Unternehmensgröße von mindestens 200 Arbeitnehmern notwendig – die Anzahl der freizustellenden Mitglieder richtet sich auch nach der Unternehmensgröße. In der Freistellungswahl wählt der Betriebsrat dann aus Vorschlägen, welche Mitglieder in welchem Umfang freigestellt werden sollen. Möglich ist dabei, dass eine Vollfreistellung in Teilfreistellungen aufgeteilt wird. ! Der Umfang der Vollfreistellung in Stunden richtet sich nach der Zahl der Arbeitsstunden in Vollzeit im Unternehmen. Arbeitet man im Unternehmen in Vollzeit 40 Stunden, ist eine Vollfreistellung eine Freistellung für 40 Arbeitsstunden. Entsprechend können 40 Stunden Vollfreistellung auch z.B. auf zwei Betriebsratsmitglieder mit 12 Stunden und 28 Stunden aufgeteilt werden (Teilfreistellung). Uneinigkeit über Verteilung der Freistellung Im Fall vor dem BAG waren in einem Betriebsrat aufgrund der Größe des Unternehmens zwei Betriebsratsmitglieder Vollzeit freizustellen. Bereits vor der eigentlichen Freistellungswahl war man sich im Betriebsrat uneinig, ob man auch eine Aufteilung einer Vollfreistellung in zwei Teilfreistellungen ermöglichen wolle. Ein ausdrücklicher Beschluss wurde darüber aber nicht gefasst, sondern zwei Wahlvorschläge gemacht: ein Vorschlag beinhaltete 2 Vollfreistellungen (jeweils 38 Std.), ein zweiter Vorschlag vier Teilfreistellungen (27 Std. und 11 Std.; 30 Std. und 8 Std.). Gewählt wurden letztlich aus diesen Vorschlägen 3 freizustellende Betriebsratsmitglieder: Ein Mitglied sollte in Vollzeit freigestellt werden (38 Std.), zwei Mitglieder in Teilzeit (27 Std. und 11 Std.). Mit dieser Wahl waren einige Betriebsratsmitglieder nicht einverstanden und fochten die Freistellungswahl an: Es hätte vor der Wahl ein Beschluss ergehen müssen, dass auch Teilfreistellungen zulässig sind. Die Freistellungswahl sei deshalb nicht ordnungsgemäß durchgeführt worden. Die Entscheidung des BAG Die Richter waren allerdings der Auffassung, dass die Anfechtung nicht begründet war und die Freistellungswahl damit ordnungsgemäß durchgeführt. Ein konkludenter Beschluss des Betriebsrats darüber, dass eine Aufteilung in Teilfreistellungen erfolgen kann, erfolgte nicht. Ein solcher Beschluss wäre aber auch nicht notwendig gewesen. Denn bereits der Wortlaut von § 38 Abs. 1 Satz 3 BetrVG spreche gegen eine Pflicht, vor der Wahl zunächst per Beschluss festzulegen, ob und ggf. in welchem Umfang Teilfreistellungen vorgenommen werden. Denn die Norm sieht von sich aus Freistellungen auch in Form von Teilfreistellungen vor. Damit sind Teilfreistellungen von Gesetzes wegen möglich. Zudem stellte das Gericht ausdrücklich fest: Hätte der Gesetzgeber einen vorhergehenden Beschluss für notwendig gehalten, hätte er das durch eine entsprechende Formulierung zum Ausdruck gebracht. Letztlich würde diese Auslegung von § 38 Abs. 2 Satz 1 BetrVG auch dem Anliegen des Gesetzgebers entsprechen, Teilzeitkräften die Chance zu geben, sich in der Betriebsratsarbeit zu engagieren und sich dafür entweder vollständig oder auch nur teilweise von ihrer Arbeit freistellen zu lassen. Wahl dennoch unwirksam Und doch erklärte das Gericht letztlich die Freistellungswahl für unwirksam. Der Grund dafür war allerdings, dass die Wahlliste für die Freistellungswahl Kandidatenpaare vorsah und nicht die wählbaren Betriebsratsmitglieder einzeln auflistete. Denn eine Aufstellung von Kandidatenpaaren ist nicht zulässig, da u.a. im Falle des Ausscheidens eines freigestellten Betriebsratsmitglieds nicht zu ermitteln sei, welches Betriebsratsmitglied in welchem Umfang in die Freistellung nachrückt. Fazit Ein vorangehender Beschluss darüber, dass bei einer Freistellungswahl Kandidaten für Teilfreistellungen zur Wahl stehen, ist nicht notwendig. Sollen derartige Kandidaten bzw. Kandidatinnen allerdings zur Wahl aufgestellt werden, ist es wichtig, darauf zu achten, dass die Kandidatinnen und Kandidaten einzeln und nicht als Paare oder Gruppen aufgestellt werden. Andernfalls kann eine Freistellungswahl anfechtbar sein. Sie haben Fragen zur Freistellung und Freistellungswahl? Als Fachanwalt für Arbeitsrecht beantworte ich gerne Ihre Fragen oder unterstütze Sie bei der Anfechtung von Wahlergebnissen. weiterlesen
Mitglieder eines Betriebsrates haben ein Privileg, um das sie von vielen Kollegen beneidet werden: Sie können sich von ihrer arbeitsvertraglich geschuldeten Tätigkeit freistellen lassen, damit sie ihren Aufgaben als Betriebsräte besser nachkommen können. Aber was passiert, wenn ein Betriebsrat sich nicht freistellen lassen will? Kann der Arbeitgeber den Betriebsrat dann auflösen, weil der „Betriebsrat“ nicht mitteilen kann, welches Mitglied sich freistellen lassen will? Nein, urteilte das Landesarbeitsgericht (LAG) Nürnberg (LAG Nürnberg, Beschluss v. 17.12.2020, Az.: 4 TaBV 11/20). Freistellung von Betriebsratsmitgliedern dejure Wer als Betriebsratsmitglied aktiv ist, kann sich ggf. vollständig von seiner eigentlichen Tätigkeit für seinen Arbeitgeber freistellen lassen, § 38 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG). Sind Betriebsräte vollständig freigestellt, ist ihre Aufgabe, bei vollem Gehalt ausschließlich ihren Verpflichtungen als Betriebsrat nachzukommen. Jedoch ist das auch mit der Pflicht verbunden, während der Arbeitszeit im Betrieb zu sein. Unvorteilhaft ist das für ein Betriebsratsmitglied, wenn Arbeitsort und Betriebsstandort weit auseinander liegen. Verzicht auf Freistellung, keine Mitteilung und die Folgen Um solch einen Fall ging es vor dem LAG Nürnberg. Ein Unternehmen, bei dem überwiegend Zeitungszusteller arbeiteten, verlangte vom Betriebsrat (BR), mitzuteilen, welche Mitglieder sich nach § 38 BetrVG freistellen lassen wollen. Das geschah jedoch nicht. In der Folge verlangte der Arbeitgeber vor dem Arbeitsgericht, den BR aufzulösen (§ 23 Abs. 1 S. 1 BetrVG). Dass der Betriebsrat nicht mitteile, welches der BR-Mitglieder sich freistellen lassen wolle, sei eine so schwere Pflichtverletzung des Betriebsrates als Organ, dass er aufzulösen sei. Das sah der BR anders: Es hätten sich schlichtweg keine Mitglieder gefunden, die sich freistellen lassen wollen. Wenn man keine Mitteilung über die Freistellungen machen könne, sei ein Freistellungsbeschluss nicht möglich. Weil deshalb keine Pflichtverletzung des Betriebsrates als Organ vorliege, sei der Antrag auf Auflösung haltlos. Arbeitsort, Betriebsstandort etc. Alle Mitglieder des BR sind auf Teilzeitbasis für das Unternehmen als Zeitungszusteller mit einer Arbeitszeit von ca. 1,7 Stunden pro Tag angestellt. Die Arbeitszeit der Zusteller liegt in der Regel nachts oder früh morgens, der Arbeitsort ist in fast allen Fällen weit vom Unternehmensstandort entfernt. Als freigestelltes BR-Mitglied die kurze Arbeitszeit am weit entfernten Betriebssitz zu verbringen, würde für die BR-Mitglieder also eher nachteilig sein. Deshalb verzichteten alle Betriebsratsmitglieder auf eine Freistellung. Also könne auch keine Auswahl durch Beschluss erfolgen und es gebe nichts mitzuteilen, so der Betriebsrat. Damit war der Arbeitgeber nicht einverstanden: Es sei nicht möglich, keine Auswahl von Freizustellenden zu treffen. Das würde zu Überstunden bei den Betriebsratsmitgliedern führen, der Freizeitausgleich der Überstunden würde sich nachteilig auf die Abläufe im Unternehmen auswirken und eine Ausbezahlung die Betriebsratsmitglieder gegenüber Kollegen begünstigen. Keine Pflicht zur Freistellung, keine Pflichtverletzung des Betriebsrates Das Gericht folgte der Auffassung des Betriebsrates und löste das Gremium nicht auf. Ein grober Pflichtverstoß sei hier nicht gegeben. Die Freistellung nach § 38 BetrVG sei unter bestimmten Voraussetzungen ein Recht der Betriebsratsmitglieder, aber keine Pflicht. Würden sich keine Mitglieder für eine Freistellung auf freiwilliger Basis melden, sei es folgerichtig unmöglich, Betriebsratsmitglieder für einen Beschluss über die Freistellung zu benennen. Zudem soll die Freistellung grundsätzlich zum Vorteil des Betriebsrates sein, nicht zu seinem Nachteil. Eine solche Benachteiligung wäre aber hier in der konkreten Konstellation zu befürchten, weil die Entfernung vom Arbeitsort zum Betriebsstandort im Verhältnis zu der kurzen Arbeitszeit pro Tag nicht im Verhältnis stünde. Und nicht zuletzt waren die Richter der Auffassung, dass eine Auflösung des Betriebsrates und eine Neuwahl das Problem nicht lösen würde. Denn in diesem Fall müsse man dafür Sorge tragen, dass sich nur Personen zur Wahl stellen, die dieses „Problem“ wegen ihrer Tätigkeit nicht auch hätten. Das sei aber im konkreten Fall quasi nicht möglich, weil nahezu alle Personen im Unternehmen unter sehr ähnlichen Bedingungen und Voraussetzungen arbeiten würden. Den Betriebsrat wegen fehlender Freistellung der Mitglieder aufzulösen, sei deshalb zwecklos und würde dem Sinn des § 38 BetrVG auch nicht entsprechen. Die angeführten Arbeitgeberinteressen müssten – so die Richter – dagegen zurückstehen. Pragmatische Auslegung Einzelne Vorschriften des BetrVG können in speziellen Konstellationen Nachteile für Betriebsratsmitglieder mit sich bringen, auch wenn die Vorschrift eigentlich das Gegenteil bewirken soll. Das ist an diesem Beispiel gut zu sehen. Hier haben Gerichte allerdings auch Spielraum, Vorschriften nach ihrem Sinn und Zweck auszulegen und damit Nachteile für Betriebsratsmitglieder zu verhindern und gleichzeitig das Funktionieren des Betriebsrats zu gewährleisten – auch wenn das ggf. nicht zum Vorteil des Arbeitgeberunternehmens ist. Sie benötigen als Betriebsrat(smitglied) Unterstützung im Zusammenhang mit dem Thema Freistellung? Kontaktieren Sie mich gerne per Telefon in Augsburg unter 0821 / 508 526 60 oder per E-Mail an kanzlei@schleifer-arbeitsrecht.de.weiterlesen
Geht es um die Kündigung von Arbeitnehmern, ist es Arbeitgebern häufig wichtig, schnellstmöglich zu wissen, ob ein Arbeitsverhältnis tatsächlich beendet ist. Denn die Möglichkeit, dass Arbeitnehmer*innen Kündigungsschutzklage erheben und häufig lange Kündigungsschutzverfahren sind aus Arbeitgebersicht deswegen ein „Problem“. Deshalb versuchen einige Arbeitgeber, Mitarbeitenden nach einer Kündigung den Verzicht auf die Klagemöglichkeit mit einer Klageverzichtsprämie finanziell zu versüßen. Gerade im Falle von betriebsbedingten Kündigungen können Klageverzichtsprämien in einem Sozialplan vereinbart werden. Ob die Vereinbarung einer Klageverzichtsprämie in einer Betriebsvereinbarung in Form einer höheren Sozialplanabfindung für den Fall eines Verzichts auf eine Kündigungsschutzklage wirksam ist – damit beschäftigte sich das Landesarbeitsgericht (LAG) Nürnberg (LAG Nürnberg, Urteil v. 14. Oktober 2020, Az.: 2 Sa 227/20). Klageverzichtsprämie und Sozialplan Grundsätzlich sind Klagverzichtsprämien im Arbeitsrecht denkbar und möglich, jedoch nur unter bestimmten Voraussetzungen. Denn grundsätzlich darf eine Abfindung, die in einem Sozialplan als Form des Interessenausgleichs vereinbart wird, nicht von einem Verzicht auf eine Kündigungsschutzklage abhängig gemacht werden. Zudem muss die Verzichtsprämie zusätzlich zu Zahlungen aus dem Sozialplan bezahlt werden. Deshalb ist es üblich Klageverzichtsprämien in einer Betriebsvereinbarung festzusetzen, die unabhängig vom eigentlichen Sozialplan ist. Der Fall vor Gericht Das LAG Nürnberg urteilte in einem Fall, in dem zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat wegen betriebsbedingter Kündigungen ein Sozialplan zum Interessenausgleich geschlossen worden war. Im Sozialplan war unter anderem definiert, wie hoch die Abfindung für die von den Kündigungen betroffenen Mitarbeitenden ausfallen sollte. Ausschlaggebend für die Höhe der Abfindungszahlung war u.a. die Dauer der Betriebszugehörigkeit, der Bruttomonatslohn und das Alter. Auch eine sog. Kappungsgrenze war vereinbart. Neben dem Sozialplan zum Interessenausgleich war zusätzlich eine Betriebsvereinbarung geschlossen worden. Hier hatten sich Arbeitgeber und Betriebsrat auf eine Klageverzichtsprämie geeinigt: so sollte sich die Abfindung aus dem Sozialplan um den Faktor 0,25 erhöhen, wenn der / die betroffene Mitarbeiter*in verzichtet, wegen der betriebsbedingten Kündigung Kündigungsschutzklage zu erheben. Ein Mitarbeiter war mit der Berechnung seiner Abfindungszahlung jedoch nicht einverstanden. Er hatte auf eine Kündigungsschutzklage verzichtet und erhielt in der Folge eine Zahlung von 75.000 Euro – unter Anwendung der Kappungsgrenze bei der Berechnung der Abfindung und der Prämie für den Klageverzicht. Damit war er nicht zufrieden und klagte doch. Er verlangte die für den Klageverzicht um den Faktor 0,25 erhöhte Abfindung und einen Ausgleich für die Reduzierung des Gesamtbetrages der Abfindung durch die Kappungsgrenze. Urteil des LAG Nürnberg Mit seiner Klage war er allerdings nicht erfolgreich. Zwar wäre die Verknüpfung von Sozialplanabfindung und Kündigungsverzicht nicht rechtmäßig, so die Richter. Das führe aber nicht dazu, dass die Betriebsvereinbarung über die Klageverzichtsprämie unwirksam sei. Sie sei im Gesamtkontext nach wie vor Teil der Sozialplanregelung. Damit würde sich für alle Mitarbeitenden die Abfindung um den Faktor 0,25 erhöhen und zwar unabhängig von einer Klageerhebung oder einem Verzicht darauf. Alle Mitarbeitenden hätten demnach Anspruch auf die Prämie, auch wenn sie gegen die Kündigung geklagt hätten. Das würde allerdings auch dazu führen, dass die Verzichtsprämie der – nach Auffassung der Richter nicht altersdiskriminierenden – Kappungsgrenze unterliege: eine Zahlung von mehr als 75.000 Euro sei nicht begründbar. (Gegen dieses Urteil wurde beim BAG Revision eingelegt). Fazit Grundsätzlich sind die Bedingungen, unter denen Klageverzichtsprämien zwischen Arbeitgebern und Mitarbeitervertretung vereinbart werden können, eigentlich relativ klar. Und doch kommt es immer wieder zu Ungenauigkeiten oder Fehlern in derartigen Vereinbarungen, die unter Umständen positive finanzielle Folgen für betroffene Arbeitnehmer*innen haben können. Insofern kann es sich durchaus lohnen, Abfindungszahlungen und ihre Rechtsgrundlagen einmal genauer unter die Lupe zu nehmen. Sie haben Fragen zum Thema Abfindungszahlung und Klageverzichtsprämie? Als Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht unterstütze ich Sie gerne! Sprechen Sie mich direkt an, in Augsburg unter 0821 / 207 137 55 oder per E-Mail an kanzlei@schleifer-arbeitsrecht.de!weiterlesen